Ich bin nicht so wahnsinnig zu versuchen, jede Show zu sehen, die der Broadway zu bieten hat. In diesem Jahr fiel mir die Auswahl sogar schwerer, als im letzten, weil kein richtiges Glanzlicht dabei zu sein schien.
Sehr gespannt war ich eigentlich auf „Spiderman“ von dem man ja viel gehört hat: teuerste Produktion jemals am Broadway, einmal in der Produktion fast pleite gegangen, July Taymore kurz vor der Premiere gefeuert… nun, glaube ich den Kollegen die es sahen (und ich glaube ihnen) ist es vor allem die langweiligste Show des Broadways und sie waren froh, nicht mehr als 40,-$ für die Karten bezahlt zu haben.
Technisch muß es wirklich beeindruckend sein, aber die Story und die Musik reißen das nicht raus.
Also spare ich mir die 40,-$ lieber.
Meine Wahl fiel zunächst auf „Priscilla – Queen of the Desert“. Ich habe den Film leider nicht gesehen, kann also keinen Vergleich ziehen, wohl aber sagen, daß wir eine Menge Spaß hatten. Obwohl alles so simpel aussieht, steckt ein unglaublich technischer Aufwand dahinter: die drei Diven, die immer dann singen, wenn ein Travestie-Künstler nicht selber singt, schweben Anfangs vom Schnürboden herein, der Bus ist mit einer LED verkleidet, so daß er später pink leuchten kann, auf dem Bus ist irgendwann ein riesiger Pumps befestigt, der über das Busdach hinaus bis über den Orchestergraben fährt und und und und erst die Kostüme!
Die Kostüme in den Travestie-Nummern toppen sich gegenseitig. Auch wenn ich mir vorstelle, daß so mancher der (unglaublich gut durchtrainierten) Tänzer sich denkt: „Dafür habe ich also 15 Jahre Ballett gemacht, damit ich jetzt als übergroßer Muffin mit Kerze auf dem Kopf Walzer tanze!“
Es glitzert, federt und blinkt also an allen Ecken und Enden, die Musik besteht aus lauter Disco-Hits, gute Laune ist vorprogrammiert und an zwei Stellen kann man auch ein Tränchen der Rührung verdrücken.
Tagelang lachte ich noch über „Pop Music“, eine Nummer, die von einer kleinen asiatischen Mail-Order-Braut gesungen wird und die dabei vorführt, wo und wie sie überall Tischtennisbälle ploppen lassen kann…
Als zweite Show sah ich „Follies“. Eine ganz andere Art, schon allein wegen der Musik von Stephen Sondheim, eher ein Musical im klassischen Sinn.
Und hier kam wieder zusammen, was mich schon letztes Jahr in „Addams Family“ faszinierte: man sieht, daß die Darsteller hier wirklich alles Spiel, Gesang und Tanz beherrschen. Bernadette Peters ist eine DER Musicaldarstellerinnen, genau so Elaine Page, die erste Evita oder Jan Maxwell … Sie sind aber nicht nur gesanglich einwandfrei sondern auch spielerisch tadellos!
Das Stück handelt von den „Follies“ (in Anlehnung an die Ziegfeld-Follies), die 30 Jahre nach ihrer letzten Show wieder in ihrem alten Theater zusammenkommen um vor der endgültigen Schließung und dem Abriss des Hauses noch einmal zu feiern. Erinnerungen werden wach, alte Liebe wiederentdeckt, es wird sich noch einmal gezofft und am Ende bleibt alles beim Alten.
Das ganze Theater wird in die Show einbezogen: die Wände und die Decke sind mit grauem, verschossenen Stoff verhängt, während des Einlasses hören wir hallende Steppschritte, wie aus einer fernen Erinnerung.
Während des Stücks, das (mit Ausnahme einer Art Traumsequenz) ausschließlich auf der grauen Hinterbühne des Theaters spielt, bewegen sich Tänzerinnen in glamourösen aber grau-schwarz gehaltenen Showkostümen in Zeitlupe über die Bühne und auf der Galerie des Bühnenbildes, wie die Schatten der Erinnerung an die glanzvollen Zeiten.
Diese „Schatten“ werden als Doppelbesetzung ganz konkret. Wenn die „alten „Follies“ sich noch einmal an ihre Choreographie erinnern und tanzen, tanzen da plötzlich die „jungen“ Follies in ihren Federkostümen die Kick-Line mit.
Und auch in den Spielszenen wird diese Doppelbödigkeit beibehalten: es gibt zu den Protagonisten Sally, Phyllis, Ben und Buddy jeweils ihre jungen „Ichs“ die zeigen, „wie es damals war“.
Die Spieszenen haben es in sich. Es beginnt, wie eine Noël Coward Konversations-Komödie und wird schnell bösartiger Tennessee Williams, oder wahrscheinlich eher Strindberg.
Die Songs klingen -typisch Sondheim- leicht, sind aber – typisch Sondheim – hochanspruchsvoll sie passen vom Text und Rhythmus ins Stück, und führen die Handlung wie ein Monolog weiter.
Wenn Buddy mit „The Wrong Girl“ alleine die Bühne rockt oder „Phyllis“ sich mit „Could I Leave You?“ mit Ben auseinandersetzt, ist das, obwohl ein Song, ganz großes Theater.
Die alten Follies sind übrigens alles gestandene Frauen, denen man ihr Alter (also 45+) auch körperlich ansieht: da trägt keine Größe 32 (naja, außer Jan Maxwell und Bernadette Peters), eher 42 und mehr, aber sie alle tanzen und steppen mit Anmut und Leichtigkeit.
Der Fairness halber seien hier auch die beiden männlichen Hauptrollen namentlich erwähnt: Ron Raines spielt den Ben und Danny Burstein den Buddy. Wahrscheinlich stelle ich irgendwann wie bei Nathan Lane fest, daß ich beide aus Film und Fernsehen kenne.
Dieses Stück wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in Deutschland sehen. Sondheims Musik ist zu anspruchsvoll für das La-La-La-gewöhnte-Andrew-Lloyd-Webber-Musical-Publikum. Außer „Losing My Mind“, das glaube ich durch Liza Minelli einige Bekanntheit erreichte, ist kein Ohrwurm dabei, den man summt, wenn man aus dem Theater kommt.
Und ich kann mir nicht vorstellen, welche 10 deutschen Schauspielerinnen man besetzen könnte?
Man stelle sich überhaupt mal vor: die Besetzungsliste (ohne Ensemble!) umfasst 31 Leute, dazu noch 15 Mann und Frau Ensemble plus Orchester…! Wahrscheinlich kann sich gar kein deutsches Theater so eine Produktion überhaupt leisten.
Dieser Abend war seine 79,-$ (Rang Mitte- das ist ziemlich weit hinten- links) wert!
„Seminar“ ist das einzige reine Sprechtheater Stück, das ich sehe. Es ist eine Preview und wir zahlen 81,-$ pro Karte im Rang… denn es spielen Alan Rickman, Jerry O’Connell, Hamish Linklater, Lily Rabe und Hettienne Park, alles durch Film und Fernsehen bekannte Schauspieler, die hier beweisen, daß es keinen Unterschied zwischen Bühnen- oder Film-, sondern nur einen zwischen guten oder schlechten Schauspielern gibt.
Der Abend ist – im Gegensatz zu vielen vergleichbaren deutschen Produktionen in denen man „große Namen“ engagiert, um Publikum zu ziehen – großartig.
Ein weiteres Show-Highlight war der Besuch von „Eileens Stardust“. ein klassisches 50er Jahre Diner in dem die Kellner singen. Und zwar richtig gut singen. Weil sie nämlich eigentlich Musicaldarsteller sind.
Nach Ende der Broadway Shows, also so gegen 23:00 am Samstag Abend gibt es einen Showblock. Und während man seinen Burger verzehrt kann man ausgezeichneten Leuten zuhören.
Es gibt keine Bühne, nur einen maximal 30 cm breiten Steg zwischen den Rückenlehnen der Mittelbänke, auf dem die Sänger stehen, wenn sie nicht durchs Lokal laufen. Moderiert wird alles von einem älteren Herrn in weißem Dinnersakko. Nach dem Showblock geht ein Sektkübel rum, in dem ausschließlich die Trinkgelder für die Sänger gesammelt werden. Daraus finanzieren sie Gesangs- oder Schauspielstunden
In den letzten Jahren haben es immer wieder Leute von „Eileens“ an den Broadway geschafft. Eine sah ich wohl letztes Jahr als Wednesday in „Addams Family“ eine singt derzeit als Schwester Mary Robert in „Sister Act“…
Es wundert mich, daß diese Idee es noch nicht nach Deutschland geschafft hat? Gerade eine (hahaha) Musical-Hauptstadt wie Hamburg mit 3 Musical Schulen hat doch genug Potential!
Jedenfalls bin ich mit meinen Broadway Erlebnissen sehr zufrieden. Musical in America ist nicht vergleichbar mit Musical in Deutschland. Es hat sich hier aus einer Theatertradition entwickelt (vielleicht ein Äquivalent zu unseren deutschen Operetten) in denen man rundum gut ausgebildete Leute braucht.
Schwer vorstellbar erscheint mir, daß hier irgendein nicht-akzentrei-englisch sprechender Darsteller eine Hauptrolle bekommt und von einem nicht-englisch sprechenden Regisseur inszeniert wird…
Schaut man sich die Lebensläufe der Broadway-Darsteller an, kann man sehen, daß sie nicht ausschließlich Musical, sondern auch Theater, Film und Fernsehen spielen.
Musicals haben hier allerdings nur eine begrenzte Haltbarkeit und sind kein Garant für eine langfristige Beschäftigung.
Als Darsteller hier leben möchte ich nicht, aber als Zuschauer bin ich sehr, sehr dankbar!